Ein Gespräch mit Tommie Shelby, Vanessa Thompson und Simin Jawabreh, organisiert und moderiert von Charlie Ebert und Abibi Stewart. Die Diskussion findet auf Englisch mit deutscher Simultanübersetzung statt und ist in Kooperation mit Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert.
Topic: Die Asyl- und Migrationspolitik wird immer offener rassistisch und faschistisch. Die Kriminalisierung von Migration und politischem Protest werden zur Ausweitung von polizeilichen Befugnissen und der Aushebelung von Grundrechten genutzt. Während soziale Absicherung abgebaut wird, ist für Polizei und Militarisierung genug Geld da. Die zunehmende „organisierte Vernachlässigung“ (Ruth Wilson Gilmore) geht mit dem Ausbau repressiver Institutionen und einem autoritär auftretenden Staat einher. Gegen diese Entwicklungen wenden sich antirassistische, antifaschistische, feministische und queere Bewegungen – insbesondere Gruppen, die sich gegen Polizeigewalt, Gefängnisse und Kriminalisierung organisieren. In diesen Kämpfen gegen staatlich sanktionierte Gewalt und für bessere Lebensbedingungen reicht die Bandbreite an Forderungen von der Reform bis zur Abschaffung der kritisierten Institutionen. Reformistische Positionen fordern etwa bessere Haftbedingungen, ein gerechteres Strafrecht oder ein Ende von Polizeigewalt. Sie plädieren aber nicht für die vollständige Abschaffung von Gefängnissen, Polizei und Grenzen, weil diese auch notwendige Funktionen erfüllen. Dem gegenüber stehen radikalere Positionen, die eine Abschaffung fordern. Diese knüpfen an Traditionen des Abolitionismus an, die Gefängnisse, Polizei und Grenzen als zentrale Mechanismen der Unterdrückung und Ausbeutung in kapitalistischen Gesellschaften verstehen und in denen Reformen deshalb als aussichtslos gelten. Abolition meint dabei nicht nur Abschaffung, sondern einen Prozess der Transformation, der durch die Veränderung sozialer, politischer und ökonomischer Bedingungen darauf zielt, repressive Institutionen überflüssig zu machen. Reformistische und abolitionistische Positionen unterscheiden sich also nicht nur in einzelnen politischen Forderungen und Strategien, sondern in ihren gesellschaftstheoretischen Annahmen über die historischen und funktionalen Rollen der kritisierten Institutionen. Im Barrikadengespräch diskutieren wir diese Annahmen, Verständnisse und Strategien gemeinsam mit Simin Jawabreh, Tommie Shelby und Vanessa Thompson. Ausgehend von den philosophischen und politisch-praktischen Perspektiven der Gesprächspartner:innen diskutieren wir: Was genau ist das Problem an karzeralen Institutionen wie Gefängnissen, Polizei und Grenzen? Gehören sie abgeschafft oder reformiert – und warum? Lassen sich radikale Gefängnisreformen im Kapitalismus überhaupt durchsetzen? Was genau meinen Reformer:innen und Abolitionist:innen jeweils mit ihren Forderungen – und welche Vorstellungen von gesellschaftlicher Transformation stehen dahinter? Gäste Simin Jawabreh ist Aktivistin und Politikwissenschaftlerin und schreibt regelmäßig für Jacobin, Analyse & Kritik und Neues Deutschland. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit Marxismus, Abolitionismus und antikolonialen Kämpfen. Ihren Aktivismus bringt sie unter anderem als Kommunistin und durch ihre Mitarbeit in antirassistischen Bündnissen auf die Straße, sowie durch ihren Instagram-Account @siminjawa in die breitere Öffentlichkeit. Tommie Shelby ist Caldwell Titcomb Professor für African and African American Studies und Philosophie an der Harvard University. Er ist Autor der Monographie The Idea of Prison Abolition (Princeton University Press: 2022). 2025 ist er Benjamin Chair am Centre for Social Critique und hält in dieser Funktion unter anderem die diesjährigen Benjamin Lectures. Vanessa Thompson ist Sozialwissenschaftlerin und Assistant Professor für Black Studies und Social Justice an der Queen’s University. Informiert von antikolonialen Denktraditionen und Schwarzem Feminismus forscht und publiziert sie zu den Beziehungen von Staatsgewalt, Rassismus und Kapitalismus. Darüber hinaus setzt sie sich mit gesellschaftlichen Kämpfen gegen diese Kräfte und für Alternativen auseinander. Sie ist die Herausgeberin des Sammelbands „Abolitionismus. Ein Reader“ (Suhrkamp: 2022). Link zur Website: https://criticaltheoryinberlin.de/event/abolition-oder-reform/