FOTO: © Unsplash: julian mora

Collateral Sculptures

Das sagt der/die Veranstalter:in:

Mit dem Start ins europäische Kulturhauptstadtjahr Chemnitz 2025 beginnt ein neues Projekt des Chemnitzer Investors Udo Pfeifer und seiner Familie. Für die Hartmannfabrik entwickelten der Eigentümer und die Kunstsammlungen Chemnitz ein temporäres Ausstellungsprojekt im Bereich der Außenanlagen. Ausgewählte Künstlerinnen und Künstler von internationalem Rang wurden eingeladen, auf dem Gelände und in den Gärten der Hartmannfabrik Skulpturen und Kunstwerke zu platzieren.

Ohne ein Thema vorzugeben, bietet die Ausstellung einen offenen Raum für aktuelle künstlerische Debatten und ästhetische
Fragestellungen, die in einen direkten Dialog mit den Besuchern treten. Vertreten sind unterschiedliche Herangehensweisen und Strategien, die sich im Kontext zu Fragen des Denkmals, der Tierplastik, figurativer und abstrakter Skulptur und Malerei, ikonografischer Umbrüche und Popkultur formulieren.

Eingeladen wurden Atelier van Lieshout, Tatjana Doll, Franka Hörnschemeyer, Heike Mutter / Ulrich Genth und Lydia
Thomas. Weitere Beiträge sind in Planung.

Konzipiert wurd das Projekt von Sabine Maria Schmidt, Kuratorin in den Kunstsammlungen Chemnitz. Die Hartmannfabrik ist das Informations- und Empfangszentrum der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Sie gehört zu den stark frequentierten Publikumsorten der Kulturhauptstadt und hat daher eine hohe repräsentative Funktion.

Die 1864 erbaute Halle war einst Teil des weltweit erfolgreichen Maschinenbauunternehmens von »Lokomotivkönig« Richard
Hartmann. So wie sie damals ein Zentrum des industriellen Fortschritts war, so ist die Hartmannfabrik heute wieder ein Ort der Kreativität und Innovation und ein Symbol für die Wandlungsfähigkeit der Stadt, die von vielen Transformationsprozessen geprägt ist. Nach langem Leerstand wurde das denkmalgeschützte Gebäude von der Familie Pfeifer in einer erfolgreichen Public-Private-Partnerschaft saniert, mit zusätzlicher Förderung durch den Bund, den Freistaat Sachsen und die Stadt Chemnitz.

 

Atelier van Lieshout
Geier, 2022

Geier sind ebenso imposant wie abstoßend. Der Tod ist nah, wenn dieser Aasfresser auftaucht. Aber Geier sind auch einfallsreich, ausdauernd und ein unverzichtbares Bindeglied in vielen Ökosystemen. Joep van Lieshout hat einen stilisierten Geier in monumentalem Format dargestellt: kraftvoll, aber auch kalt, schutzgebietend und zugleich abweisend. Dem Tier fehlt der Adel berühmter Wappenvögel wie dem Adler; ist dieser doch immer brauchbar für allerlei – auch dystopische – politische Systeme gewesen. Und doch lädt der Geier ein, unter seinen Fittichen zu thronen; ein Schutzort oder der Sitz einer eher amoralischen Herrscherfantasie? Unter den Krallen des Todesboten liegt ein Ei: ein Symbol für neues Leben. Doch was wird da entschlüpfen? Gier? Macht? Neues Unheil? Für Van Lieshout sind Künstler durchaus mit Geiern vergleichbar. Sie verschlingen alles, was ihnen als Inspiration dienen könnte. Zugleich wird ihre oft fragile oder provokante Kunst von zahlreichen Ansprüchen und Feindseligkeiten belagert.
Atelier van Lieshout (auch AVL) ist eine interdisziplinär arbeitende Künstlerwerkstatt mit Sitz in Rotterdam. Sie wurde 1995 von dem Künstler Joep van Lieshout gegründet und ist zu seiner Marke geworden. Seither ist sein ungewöhnlich vielfältiges und reiches Werk entstanden, das die klassischen Disziplinen der Kunst zwischen Bildhauerei, Design, Architektur und Performance vermengt. Viele Werkstücke sind aus farbigem, glasfaserverstärktem Kunststoff gefertigt; einem Markenzeichen von AVL. Immer wiederkehrende Themen seiner oft provokanten und ambivalenten Arbeiten sind Unabhängigkeit, Anarchie, sexualisierte Körperlichkeit, Gewaltfantasien, Faschismus, Ausbeutung, politische Systeme und ihr Verfall.

 

Tatjana Doll
Das Licht am Ende des Tunnels ist das Licht der Lok, die mir entgegenkommt, 2024

Für die kleine Fernwärmestation im Garten an der Hartmannfabrik hat die Künstlerin eine drei Seiten umfassende Wandgestaltun gim Außenraum konzipiert. Mit dieser collagiert sie eigene Gemälde aus unterschiedlichsten Werkreihen, die sowohl kunsthistorische Bezüge (so zu Otto Dix, Henri Rousseau oder Georg Baselitz), als auch popkulturelle Zitate (Simpsons, Star Wars) einbeziehen. Krieg, Bedrohung, Gefahr, Unruhe, aber auch Widerständigkeit und Humor bündeln sich hier und wirken wie ein Echo aktueller Konflikte. Alle Motive sind Werbeplakatdrucke von Originalen, die sie in einer direkten, schnellen und mitunter rohen Malweise in großformatige Lack- und Ölbilder umsetzt. Bei der Arbeit mit Lackfarben werden im Prozess entstandene Fehler wie glänzende Oberflächen, Risse, Farbschlieren und Deformationen als Teil des malerischen Prozesses mitinszeniert. Nie ist Malerei so perfekt wie die seriellen Industrieprodukte unserer durchkapitalisierten Kultur.
Tatjana Dolls Malerei widmet sich den industriellen Produkten unserer „Hochzivilisation“, die uns umgeben und beeinflussen, die wir konsumieren und mit denen wir uns schmücken: Autos, LKWs, Reinigungsfahrzeuge, Pappbecher, Feuerl.scher, Piktogramme, Koffer, Flugzeuge, aber auch berühmte Gemälde und Ikonen, alles realistisch und in großem Format, oft lebensgroß rfasst. Nicht zuletzt fragt sie, wieviel Platz wir eigentlich all diesen Dingen zukommen lassen; insbesondere im öffentlichen Raum. Malerei nutzt die Künstlerin, um Machtverhältnisse von Repräsentation umzukehren. Seit 2009 lehrt Tatjana Doll als Professorin für Malerei an der Kunstakademie in Karlsruhe. Die vielfach ausgezeichnete und international präsente Künstlerin lebt in Berlin.

 

Franka Hörnschemeyer
Equation (e1), 2020

Hörnschemeyer erforscht relationale Vorstellungen von Raum. Häufig arbeitet sie dafür mit vorgefundenen Baumaterialien und modularen Systemen, um die Muster und Größenverhältnisse aufzuzeigen, auf denen ein Großteil unserer gebauten Umwelt beruht. Alle Spuren der früheren Verwendung der Materialien sind für die Künstlerin gleichermaßen wichtig, denn nur ein kleiner Teil des Materials ist Materie, der Rest ist Information. Hier sind es recycelte Schalungselemente einer Baufirma, deren Logo noch auf den Platten zu lesen ist. Sie sind zu einem Kubus zusammengesetzt, der auf den dunkelroten rasterartigen Eisengittern ausbalanciert ist. Die Skulptur wird zueiner Gleichung, die ein Innen und Außen, ein Oben und Unten transformiert und räumliche Kräfteverhältnisse als dynamische ins Bild setzt. Zugleich befragt sie, wie es um den Boden beschaffen ist, auf dem sie und wir alle stehen und ob sich nicht auch andere Rückschlüsse bezüglich unserer räumlichen Verortung ziehen lassen. Wenn wir auf etwas stehen, stehen wir dann nicht auch unter, neben und vor allem in etwas?
Franka Hörnschemeyer ist Bildhauerin, die ihre künstlerischen Wurzeln in der Minimal- und Konzeptkunst und der damit verbundenen Institutionskritik findet. Ihre Installationen aus industriell vorgefertigten Materialien werden häufig als Grenzgänge zwischen Baukunst und Raumkunst bezeichnet. Als Hochschullehrerin wirkte sie in Karlsruhe, Los Angeles, Bremen und von 2015 – 2024 an der Kunstakademie in Düsseldorf. Sie lebt in Berlin. Eines ihrer bekanntesten Werke ist BFD – bündig fluchtend dicht, eine labyrinthische Konstruktion aus gitterartigen Schalelementen in einem Innenhof des Berliner Paul-Löbe-Hauses, einem Gebäude des Deutschen Bundestags. In Dresden realisierte sie 2011 die in den Untergrund führende, begehbare, architektonische Installation Trichter, die mit dem mfi-Preis für Kunst am Bau ausgezeichnet wurde.

 

Heike Mutter / Ulrich Genth
Schlafendes Pferd, 2023

Das aufgesockelte Schlafende Pferd lässt sich unmittelbar als starkes Gegenbild zu den bekannten klassischen Prachtstücken von Reiterdenkmälern lesen. Pferde verkörpern darin
die Virilität und Macht ihrer ruhmreichen Herren. Hier hingegen liegt das schlafende Pferd in Lebensgröße ausgestreckt, friedlich auf der Seite im Tiefschlaf. Als Fluchttiere schlafen Pferde in der Natur weit öfter im Stehen, oder stützen den Kopf in Brustlage am Boden ab, um schneller aufstehen zu können. In Seitenlage schläft ein Pferd nur selten, dann, wenn es sich sicher fühlt, weil diese Position es verwundbarer gegenüber Gefahren macht. In Herden übernehmen oft einzelne Tiere die „Wache“, während die anderen ruhen. Die Herstellung der Skulptur verbindet eine klassische Denkmalsprache mit neuester Technik: Ein schlafendes (Wiener) Pferd wurde mittels Fotogrammetrie digital erfasst und in einem speziellen Verfahren in Einzelteilen dreidimensional ausgedruckt. Im Anschluss wurde es zusammengefügt, bis in kleinste Details naturalistisch überarbeitet und dann in Bronze gegossen und patiniert.

Die künstlerische Arbeit von Mutter / Genth widmet sich der Erforschung und Mitgestaltung von Bedingungen des Öffentlichen. Seit 2003 entwickeln die in Hamburg ansässigen Künstler
gemeinsam Interventionen im öffentlichen Raum, mittels derer sie politische, historische, soziale und ästhetische Bedingungen öffentlicher Orte neu zur Diskussion stellen. Insbesondere mit ihren kritischen Befragungen von Denkmälern und historischen Orten erschließen sie immer wieder neue Routen in den Erzählräumen von Stadtgeschichte. Ihre begehbaren Achterbahnen (Tiger & Turtle und Spacewalk) gehören zu den international spektakulärsten und meistfotografierten Beiträgen im öffentlichen Raum. Das Schlafende Pferd war ursprünglich für eine temporöre Präsentation auf dem Reumannplatz in Wien entstanden.

 

Lydia Thomas
Gravitation (Cyberfaun und Guardian), 2024

Mit ihrem zweiteiligen Skulpturenensemble verführt die Künstlerin in die Welt der Metamorphosen und digitalen Fiktionen. Sie verknüpft dafür verschiedene bildnerische Traditionen und Sprachen. Der kleinere Guardian aus Aluminium, angebracht an der Fassade des Gebäudes, ist mit seiner VR-Brille als Wächter einer virtuellen Welt zu erkennen. Er versprüht Leichtigkeit und Dynamik. Manche mögen an Marvel-Helden wie den Silver Surfer erinnert sein, ein Superheld, vergleichbar dem antiken Prometheus, der die Erde vor dem planetenverschlingenden Gott Galactacus retten wollte, scheitert und mit seinem Surfbrett die Umlaufbahn nicht mehr verlassen darf. Einer anderen skulpturalen Tradition folgt der lebensgroß ausgeführte Cyberfaun aus Bronze, der sowohl Einflüsse französischer Skulptur des 19. Jahrhundert als auch realistischer Skulptur der DDR aufweist. Der Faun ist ein durch und durch hybrides Wesen zwischen Mensch und Tier, ein virtueller Avatar und Nachkomme mythologischer Geschöpfe. Zugleich steht er für die Verbindung von Natur, Mensch und Technik. Er tastet sich in eine ungewisse, sicherlich aber technologisch gestaltete Zukunft.
Lydia Thomas wurde in Karl-Marx-Stadt geboren. 1989 übersiedelte die Familie nach Bayern und kehrte 2004 nach Chemnitz zurück. Thomas entdeckte früh ihre Freude am Malen, begann eine Ausbildung zur gestaltungstechnischen Assistentin. 2009 – 2015 studierte sie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München. Mit realistischen Mitteln setzt Thomas ihre Figuren in surreale Umgebungen. Zunehmend entstehen auch Skulpturen. Seit mehreren Jahren lebt und arbeitet sie in Chemnitz und Dresden.

Location

Hartmannfabrik Fabrikstraße 11 09111 Chemnitz

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