Gabriele Tergits Zeit- und Gesellschaftsroman Effingers erzählt über vier Generationen die Geschichte der jüdischen Familie Effinger. Die Familienchronik setzt 1883 bei den Brüdern Karl und Paul ein, die aus der süddeutschen Provinz nach Berlin übersiedeln. Beide eint der Glaube an den Fortschritt und die Hoffnung, dass eine zunehmende Industrialisierung, globaler Handel und technische Innovationen den Menschen Wohlstand und Frieden bringen werden. Denn wer Handel treibt, schießt nicht aufeinander. Durch ihren Unternehmersinn und die Heirat der Bankierstöchter Annette und Klara Oppner vollenden die beiden Handwerkersöhne ihren gesellschaftlichen Aufstieg und legen den Grundstein für eine großbürgerliche Familiendynastie, die in dem Aufstieg und den Schrecken des Naziregimes ihr tragisches Ende findet.
Vor dem Hintergrund der Zeitenwenden, die zu den Gräueln des Zweiten Weltkriegs geführt haben, erzählt Tergit temporeich und einfühlsam von Liebe, Familie, rauschenden Festen und Hoffnung. Sie zeigt, wie aus einer angesehenen jüdischen Familie, deren Mitglieder sich selbst als deutsch und patriotisch identifizieren, Verfolgte und Entrechtete werden. Vor allem Tergits seismografischem Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen ist es zu verdanken, dass ihr Familienroman zu einer heutigen Betrachtung einlädt. Denn die von ihr atmosphärisch beschriebenen Phänomene und Fragestellungen wie soziale Gerechtigkeit, Inflation, Arbeits- und Produktionsbedingungen, die Gefahren und Chancen technologischer Innovation, Geschlechtergerechtigkeit, Antisemitismus, Krieg und Imperialismus, stellen uns auch heute unverändert vor Herausforderungen.
Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und kritischen Haltung als Gerichtsreporterin musste Gabriele Tergit 1933 vor dem Naziregime fliehen. Effingers wurde 1951 veröffentlicht, blieb jedoch weitgehend unbeachtet, bis der Roman 2019 neu aufgelegt und wiederentdeckt wurde. Nach seiner erfolgreichen Inszenierung von Bertolt Brechts Leben des Galilei kehrt Ronny Jakubaschk für die Adaption von Tergits Romanepos zurück ans STAATSTHEATER.