Warum Joseph Roth?
Nicht nur die Erfahrung künstlerischer Isolation während der Pandemie, sondern auch das bedrohliche politische Klima im Europa unserer Tage sind für Ben Becker Anlass genug, den genialen Schriftsteller Joseph Roth in den Blickpunkt zu rücken. Nach seinem Programm BEN BECKER – APOKALYPSE, in dem er anhand von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ die Isolation des Einzelnen im Angesicht des menschlichen Abgrunds auslotet, widmet sich Ben Becker nun dem legendären Exilautor Joseph Roth, der so viele Widersprüche in sich vereint: heiliger Trinker und hoffnungsloser Schnorrer, österreichischer Jude und Boheme-Gestalt des Berliner Nachtlebens, abgebrannter Exilant und einer der größten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum steht dabei nicht nur der einzigartige Autor, sondern vor allem auch der Mensch Joseph Roth, der sich den politischen Katastrophen seiner Zeit schutzlos ausgeliefert sieht.
Die Legende vom heiligen Trinker
Im ersten Teil des Abends liest Ben Becker Joseph Roth im Originalton und gibt der unvergesslichen Schlüsselerzählung „Die Legende vom heiligen Trinker“ seine Stimme, einer abgründigen wie berührenden Geschichte aus Roths letzten Jahren im Pariser Exil.
Der heilige Trinker
In der zweiten Hälfte nähert er sich ihm über den freundschaftlichen Bericht des Zeitgenossen: Géza von Cziffra zeichnet in seinem Erinnerungsbuch „Der heilige Trinker“ ein lebensechtes Portrait Joseph Roths sowohl vor dem Hintergrund der gemeinsamen trunkenen Berliner Nächte als auch im reißenden Strom des Exils. Beide Teile ergeben in der Zusammenführung ihrer Fluchtlinien ein verblüffendes, vielschichtiges und lebendiges Porträt des Künstlers im Exil, das auf überraschende und erschreckende Weise auch die heutige Zeit widerspiegelt.
BEN BECKER LIEST JOSEPH ROTH
Lesungen mit Ben Becker sind ein Ereignis. Die Wahl des Autoren ist so persönlich, dass in jeder Performance der Schauspieler mit dem Sujet des Textes und dessen Verfasser verschmilzt. Nach Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ hat sich Ben Becker für Texte von und zu dem Exilautor Joseph Roth entschieden. Roth gehört mit seinen mehrfach verfilmten Romanen „Das Spinnennetz“, „Radetzkymarsch“ und „Hiob“ nicht nur zu den bedeutendsten deutschsprachigen Erzählern des 20. Jahrhunderts, er ist selber eine der schillerndsten Figuren seiner Zeit und eine Geschichte für sich. Als österreichischer Jude geboren, als Journalist chronisch pleite, gehört er zu den unvergesslichen Szenegestalten im Nachtleben von Wien und Berlin. Nach der Machtergreifung der Nazis ist er einer der ersten Autoren, deren Bücher verbrannt werden. Er flieht bereits 1933 und wird eine maßgebliche Stimme der Exilliteratur; gleichzeitig ist und bleibt er immer Trinker, immer hart am Rande des Wahnsinns. Gerade diese Verschmelzung von Literatur und Leben, Biographie und Fiktion, Mensch und Mythos ist es, was Ben Becker an Joseph Roth fasziniert und was er wie kein anderer mit seiner Stimme und seiner Art zu lesen auf der Bühne lebendig werden lässt.
Musikalische Umgebung und Klanglandschaften
Für jede Literatur-Performance sucht Ben Becker einen kongenialen Sound als grundlegenden Bestandteil seines Programms. Dabei sind es immer inhaltliche Impulse, die ihn bei der Konzeption des geeigneten musikalischen Materials leiten.
Für IM EXIL hat er sich deshalb an Wolfgang Ambros gewandt. Nicht nur die österreichische Herkunft von Roth und Ambros war dabei ausschlaggebend. Vor allem die emotionale Poetik der Songtexte des Sängers und Musikers Ambros führen fast unmittelbar in die literarische Welt von Joseph Roth: das Gefühl von Heimatlosigkeit und Unabhängigkeit zugleich, Sehnsucht, Abschied und leidenschaftliche Hingabe zur Welt und zum Leben gepaart mit berührender Leichtigkeit, immer auf Messers Schneide gehend zwischen Abgrund und grenzenloser Freiheit.
In IM EXIL werden vier Musikstücke zu hören sein, zwei davon hat Wolfgang Ambros eigens für Ben Becker in Wien aufgenommen, womit sich dieser einen großen Wunsch erfüllt hat, da er auch privat ein großer Ambros-Fan ist.
Die Titel, die Ambros für Beckers Bühnenproduktion neu aufgenommen hat, sind: „De Kinettn wo i schlof“ und „I glaub I geh jetzt“. Beide Stücke sind aus dem Album „Es lebe der Zentralfriedhof“, die Ambros exklusiv für Ben Becker neu arrangiert und als Theaterversion, als Klanglandschaft, aufgenommen hat. Es sind unglaublich berührende Titel, die dem Zuhörer den berühmten Gänsehaut-Moment verschaffen.