Den Blick hinter die Kulissen zu werfen, die treibende Kraft aus der zweiten Reihe vor den Vorhang zu holen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, steht im Fokus der Ausstellung über den Wiener Musiktheoretiker Erwin Ratz (1898–1973). In jungen Jahren besuchte er das Kompositions-Seminar von Arnold Schönberg und musikwissenschaftliche Vorlesungen an der Universität Wien bei Guido Adler. Von 1922 bis 1923 war er Sekretär von Walter Gropius am Bauhaus in Weimar. Mit den Komponisten Anton Webern und Hanns Eisler verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Als Musiktheoretiker verfasste Erwin Ratz das Buch Einführung in die musikalische Formenlehre, welches bis heute zu den Standardwerken der analytischen Literatur zählt. Über 30 Jahre lehrte er an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien das Fach Formenlehre und gab sein profundes Wissen an Generationen von Komponistinnen und Komponisten sowie Musikerinnen und Musikern weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte er unter anderem sämtliche Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert als Wiener Urtext-Ausgabe heraus und lektorierte zeitlebens unzählige Werke von Hanns Eisler. Weiters schlug sich sein lebenslanges Engagement für die Musik der Wiener Schule in seiner federführenden Tätigkeit bei der Österreichischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM/ISCM) nieder. Ratz wurde 1955 auch erster Präsident der damals neu gegründeten Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft. Bis zu seinem Tod erschien dort ein Großteil der neuen kritischen Gesamtausgabe der Werke GustavMahlers.
Während der NS-Zeit half Erwin Ratz selbstlos Freunden und Bekannten. Er verteilte Lebensmittel aus der hauseigenen Bäckerei, versteckte vom Regime verfolgte Menschen (sogenannte „U-Boote“) in seiner Wohnung, verbarg verbotene Manuskripte sowie wertvolle Bücher und Gegenstände. Dafür wurde er 2015 posthum vom Staat Israel als Gerechter unter den Völkern geehrt.