Anna Zett, Joshua Wicke mit Waltraud Blischke, Jule Flierl, Matti Gajek, Agathe Israel, Elske Rosenfeld, Manuel Sekóu, Günter Baby Sommer und weiteren Gästen
Neues Forum der Töne // New Forum of Tones
Performative Installation und Versammlung // Performative Installation and Assembly
Im Rahmen einer performativen Installation der Künstlerin Anna Zett und einem mit Joshua Wicke ko-kuratierten Programm werden dissidente Beziehungsweisen neu vergegenwärtigt. Wie kann es gelingen, einen rein sprachlich definierten und politisch polarisierten Diskursraum um sinnliche Wahrnehmung und emotionales Bewusstsein zu erweitern?
An drei Tagen kommen hier künstlerische, musikalische und soziale Praktiken zusammen und lassen sich dabei von basisdemokratischen DDR-Erfahrungen, Subkulturen der Selbstorganisation und Methoden der Gruppenanalyse inspirieren. In Listening Sessions, Films-Screenings, Gesprächen und Improvisationen wird nicht die Stimmabgabe, sondern das Zuhören als eine grundlegende Kraft der Demokratie sensorisch und dialogisch erkundet.
Within a performative installation by the artist Anna Zett and a programme co-curated by Joshua Wicke dissident forms of relationship are envisaged afresh. How can a discursive space that is defined purely by language and remains politically polarised be extended through sensory perception and emotional awareness?
Over three days, artistic, musical and social practices converge here to be inspired by GDR experiences of basic democracy, subcultures of self-organisation and methods of group analysis. In listening sessions, film screenings, conversations and improvisations, the fundamental democratic force subjected to sensory and dialogue examination is not voting but listening.
Videos von Dana Kavelina, Gabriele Stötzer und Anna Zett. Rauminstallation: Anna Zett
Ein Archivthriller von Anna Zett (D 2023, 31 Min.)
Im Berliner Archiv der DDR-Opposition spürt Anna Zett bekannten und unbekannten Ängsten ihrer Kindheit nach. Die Künstlerin verwebt eine aufwühlende Collage aus Untergrundmusik der späten DDR (Komposition: Matti Gajek) mit Archivmaterial aus einem zu Ende gegangenen Polizeistaat. Videoaufnahmen der Ostberliner Umweltbibliothek und Punkszene, Fragmente aus der im Fernsehen übertragenden Revolution und hochverdichtete Stimmen einer 1986 aufgenommenen Lyrik-Kassette verbinden sich ohne Kommentar zu einer assoziativen und intimen Erzählung. Aktivistisches Videomaterial bezeugt aus der Nähe die zweite Besetzung der Berliner Stasi-Zentrale mit Hungerstreik im September 1990 – einem weitreichenden und heute dennoch kaum bekannten politischen Ereignis. Im Kontakt mit Menschen, die trotz tiefgreifender Gewalterfahrungen auf emotionaler Verbindung und politischer Selbstbestimmung insistieren, öffnet der Archivthriller einen pulsierenden Resonanzraum, der lange nachklingt.
Auf das Screening folgt ein Gespräch über den Film und dessen Rolle als Ausgangspunkt für das performative und installative Programm „Neues Forum der Töne”, das Anna Zett zusammen mit Joshua Wicke konzipiert und zusammengestellt hat.
Gespräch, Listening Session mit Waltraud Blischke und Matti Gajek
In dieser Listening Session und Gespräch verstricken sich GAJEK und Waltraud Blischke im Bandsalat der Archive elektronischer Musik in Ost und West. Sie bringen Songs mit, anhand derer sie sich über die unterschiedlichen Entwicklungen der experimentellen Musik in der späten DDR und späten BRD unterhalten. Dabei stellen sich Fragen nach der Politik des Experiments, unterschiedlichen Produktionsbedingungen und nicht zuletzt nach der auffälligen Nicht-Beziehung zwischen den Szenen in Ost und West.
Videos von Dana Kavelina, Gabriele Stötzer und Anna Zett. Rauminstallation: Anna Zett
Ein Dokumentarfilm von Shelly Silver (D 1994, 64 Min.)
„Former East / Former West“ ist ein Dokumentarfilm der US-amerikanischen Künstlerin Shelly Silver. 1991 kam sie mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin. Mit Kamera und Mikrofon befragte sie dort auf der Straße Hunderte Passanten nach ihren persönlichen Meinungen über die Schlagworte der Zeit wie etwa Heimat, Sozialismus, Kapitalismus oder Begrüßungsgeld. Es entstand ein 62-minütiger, essayistischer Dokumentarfilm und das offenherzige, verstörende Portrait einer Stadt, die noch lange nicht geeint war. Silver hatte ein sehr feines Gespür für Zwischentöne und dokumentierte so die Anfänge von Entwicklungen wie dem zunehmenden Rassismus, rechtspopulistischem Gedankengut und einer beginnenden Demokratiemüdigkeit im vereinigten Deutschland, die bis heute wirken. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb)
Performative Situation mit Jule Flierl
Mit Elementen des Story-telling, des Reenactment und eines Publikum-Warm-Ups schafft Jule Flierl eine Situation, in der über öffentliche Rede, öffentliche Gelder und öffentlichen Diskurs reflektiert werden kann. Mit Bezug auf eigene Erinnerungen an die 1990er in Ost-Berlin begab sich die Tontänzerin Flierl im letzen Jahr wiederholt auf die Straße um auf Demonstrationen Einladungen zur Selbstermächtigung im öffentlichen Diskurs auszusprechen. Zurück im Tanzraum reflektiert ihr Reenactment politische Gefühle, die in der Nachwendezeit aktiv waren und heute immer noch präsent sind oder wieder aktiviert werden können.
Listening Session von Manuel Sékou
In dieser Live-Adaption zweier Found-Footage-Hörstücke widmet sich Manuel Sékou der extravaganten Komplexität des Sächsischen – seinen phonetischen Eigenheiten, metaphorischen Sprüngen, den Zwischentönen und wiederkehrenden Sprachbildern. Parallel zu den Ermittlungen der Soko Epaulette zum Diebstahl historischer Schmuckstücke aus dem Grünen Gewölbe des Dresdener Residenzschlosses im Jahr 2019 unternimmt Sékou den Versuch einer auditiven Spurensicherung. In der damaligen Berichterstattung zum Diebstahl mischten sich Beschreibungen des Einbruchs schnell mit suspektem Vokabular, Projektionen und Vorurteilen gegenüber der Stadt Dresden. Die Diskrepanz zwischen eigenen Erfahrungen und vermittelten Zuschreibungen Dresdens, die sich teilweise zu mythischen Bildern des „Ostens“ zu verdichten scheinen, bilden das Leitmotiv des zugleich beobachtenden und affirmativen Projekts „I LOST MY GEMS“.
Videos von Dana Kavelina, Gabriele Stötzer und Anna Zett. Rauminstallation: Anna Zett
Dialogisches und vokales Forum mit Anna Bromley, Agathe Israel, Anna Zett
In diesem Gesprächsformat sind alle Anwesenden eingeladen, sich zu beteiligen, wenn sie wollen: als Hörende, Sprechende, Tönende. Thematischer Ausgangspunkt ist die Geschichte der psychodynamischen Selbsterfahrungsgruppen in der DDR, über die die Psychoanalytikerin und Psychiaterin Agathe Israel – im transgenerationalen Dialog mit Anna Zett – aus eigener Erfahrung berichten wird: Wie gelingt es, in autoritären Verhältnissen lebendig zu bleiben? In welchen Räumen und Gruppen ist es möglich, andere zu hören, hören zu wollen, selbst hörbar zu werden? Beginnend mit einem Stimm-Warm-Up kommen wir ins Sprechen und Zuhören und von dort in eine Praxis des ebenso kollektiven wie individuellen Tönens, das die Musikerin Pauline Oliveros als listening out loud bezeichnet hat.
Gespräch zwischen Tamara Antonjević und Elske Rosenfeld
In diesem Dialog werden Elske Rosenfeld und Tamara Antonjević sich der Frage, wie sich die Erfahrungen einer vergangenen Revolution und politischer Sackgassen im Körper festsetzen, zuwenden. Anhand von Abbildungen der kollektiven Hoffnung im Archiv der DDR-Opposition und der Aufnahmen der aktuellen Proteste und ihrer Unterdrückung in Serbien werden sie Hoffnung, Verzweiflung und Wut als politische Gefühle diskutieren: Gefühle, denen das Versprechen innewohnt, den kollektiven Körper zu bewegen.
Doppelkonzert und Begegnung
In zwei Solokonzerten stellen sich zwei Musiker, die aus weit voneinander entfernten Generationen auf die musikalische Lebenswelt der DDR blicken, gegenseitig in ihrer musikalischen Praxis vor. Im Übergang von einem Solokonzert zum anderen treffen sie sich in einer intergenerationalen Improvisation.
Der Jazzschlagzeuger und überzeugte Solist Günter Baby Sommer bringt jahrzehntelange Erfahrung mit akustischer Perkussion mit nach Köln. Bis heute hat er in seinem Studio in Radebeul bei Dresden sämtliche Instrumente und Gegenstände aufbewahrt, die er in Konzerten als Klangkörper benutzt hat.
Der in der DDR geborene GAJEK performt und produziert elektronische Musik. Er reflektiert über das emotionale Echo von Brüchen und Diskontinuitäten – Musik über seltsame Zeitlinien, Trauer und Ekstase, schräge Jugendkulturen, versteckte Modecodes, persönliche Tragödien und seltsame Haarschnitte.
Gabriele Stötzer, 1982, 15 Min., Super 8
Die Autorin spricht selbst einen Text in der ersten Person. Der Text kreist um Sprache und Sprachlosigkeit, um die Unmöglichkeit der Nähe und den Versuch, Distanz zu überwinden. Zu sehen sind dazu Bilder aus Gabriele Stötzers Heimatstadt Erfurt, später auch aus Jena und Ost-Berlin: Straßenzüge, Fassaden, Passanten, Arbeiter, Touristen, Polizisten. Es sind rastlose Bilder, die erst zur Ruhe kommen, wenn einzelne Frauen in den Fokus genommen werden – Freundinnen der Künstlerin, die mit ihren Bewegungen einen Dialog mit der Kamera aufnehmen. Dabei wechseln die Einstellungen von Schwarzweiß zu Farbe. Aus dem Off sind die Geräusche von zerreißendem Papier und ein Text zu hören, getragen von geahnter und doch gleich wieder zurück genommener Zuversicht: „... die fortsetzung der fortsetzung / nicht lange überlegen / wieder alles gegen den eigenen körper richten ...“.
Dana Kavelina, 2021, 35 Min., 2-Kanal-Videoinstallation
In dieser poetischen Videoarbeit begibt sich die ukrainische Künstlerin Dana Kavelina auf eine narrative wie körperliche Sinnsuche im Kontakt mit übermenschlich großen Monumenten der historischen Erinnerung, wie sie in postsowjetischen Gesellschaften omnipräsent sind. Zu hören und auf einem der Bildschirme zu sehen sind Straßeninterviews mit verschiedenen Menschen über ein unbekanntes Denkmal, das vermutlich zum Gedenken an eine Katastrophe errichtet wurde. Ihre Aussagen sind unzusammenhängend, und es ist schwierig, sich ein klares Bild von dem Monument oder der Katastrophe zu machen, die diesen Menschen widerfahren ist. In einem parallelen Videokanal klettert die Künstlerin auf verschiedene Denkmäler, berührt sie und versucht, mit ihnen zu interagieren.
Anna Zett, 2025, 25 Min., Video
Verschiedene Stimmen sammeln sich um ein leeres Quadrat und berichten eine nach der anderen von einer frischen Gruppenerfahrung an diesem Ort. Schwarz auf weiß verweisen Zeichnungen auf einen Prozess persönlicher Beschäftigung mit der DDR. Vokales Freispiel macht eine emotionale Gruppendynamik spürbar. Was ist passiert? Das Video geht zurück auf die bewusst reduzierte Dokumentation eines Forschungsprojekts der Künstlerin Anna Zett und des Tänzer. Hermann Heisig. Unter dem Titel „Resonanz – Postsozialistische Gruppenimprovisation“ entwickelten sie ab 2020 ein dialogisches und physisches Spielformat für Gruppen bis 30 Personen, um den – oftmals durch eigene Gewalterfahrungen – ideologisch fixierten Ost-Diskurs für neue Begegnungen mit dem Unbekannten zu öffnen, sowohl auf der persönlichen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene.
Tanzboden, 4 Stühle, Anna Zett & Hermann Heisig in Zusammenarbeit mit wkc, 2020-22
Das Spielfeld entstand im Laufe eines experimentellen Forschungsprozesses und enthält die vier Spielpositionen „Frage“, „Erzählung“, „Aufzeichnung“ und „Gestaltung“, repräsentiert durch modifizierte Stühle aus der DDR. Die Spielregeln wurden von Anna Zett und dem Tänzer Hermann Heisig in einem vielstimmigen Gruppenprozess definiert, probiert, verändert und weiterentwickelt. Dabei ist ein Format entstanden, das eigene Assoziationen mit Sozialismus, Freiheit, Sicherheit, Spontanität, Anpassung, und Verlust in einem offenen Gruppenprozess erfahrbar macht.
GUT ZU WISSEN // GOOD TO KNOW
Sprache: Deutsch und Englisch // Language: German and English
Alle Informationen zu Barrierefreiheit finden Sie unter www.impulsefestival.de/barrierefreiheit //
All information on accessibility can be found at www.impulsefestival.de/en/accessibility
IMPULSE FESTIVAL FÜR PERFORMANCE, THEATER & TANZ
An drei langen Festivalwochenenden – je einem in Mülheim an der Ruhr, Köln und Düsseldorf – werden herausragende Produktionen der Freien Szene aus Deutschland, Österreich und der Schweiz präsentiert. Dieser Showcase wird ergänzt um Positionen zum Verhältnis von Ost- und Westdeutschland im Rahmen eines Post-West-Schwerpunkts sowie um Ansichten aus der und auf die Gastgeber-Region NRW.
Wir freuen uns auf die erste gemeinsame Festivalsaison!
During three long festival weekends – one each in Mülheim an der Ruhr, Cologne and Düsseldorf – outstanding productions from the independent theatre scene from Germany, Austria and Switzerland will be presented. This showcase will be complemented by positions on the relationship between East and West Germany as part of a Post-West focus as well as views from and on the host region of NRW.
We look forward to our first festival season with you!
ORT // VENUE
TanzFaktur
Siegburger Straße 233w
50679 Köln