Liebeslieder an deine Tante
Woher Sebastian Krämer deine Tante kennt, ist eine gute Frage. Und wenn er sie kennt, warum er ihr dann ausgerechnet Liebeslieder widmet, vielleicht eine noch bessere. Du hast gar keine Tante? Oder sie ist vor kurzem verstorben? Nun, das würde immerhin die Verzweiflung erklären, die aus manchen dieser Stücke spricht, die Ratlosigkeit, die Melancholie. Oder den abstrusen Humor, den Krämer nicht zu planen scheint, der wie ein Schicksal über uns hereinbricht, wenn wir ihn schon nicht mehr für möglich gehalten hätten.
Für die verheißenen Liebeslieder spickt er den Himmel natürlich mit Geigen – genauer: Streichern in allen Formaten. Sowohl die Sonnenunter-Gang unter der Leitung von Burkhard Götze, als auch das Quartett Bowhéme Berlin unterstützen über die Hälfte der Songs in liebevoll durchkomponierten Arrangements. Aufgenommen wurden Teile des Albums bereits im Januar während einer Reihe von Werkstattkonzerten in der Berliner Bar jeder Vernunft. Ihr Gesangsdebüt gibt Krämers Tochter Hedwig im Lied „Frau Zielinski und der Finsterling“. Endlich einmal wird hier die Lebensrealität der Heranwachsenden kindgerecht anhand einer klinisch depressiven Grundschullehrerin nachgezeichnet.
Diese Chansons wollen nicht „Mut machen“, haben keine Parolen oder auch nur Empfehlungen zur Gestaltung einer besseren Welt zur Hand. Wir haben es hier nicht mit zielführender Kritik an den bestehenden Verhältnissen zu tun. Wohl aber mit dem Versuch, den sorgsam verpackten Schmerz im Hörer aufzuspüren und freizusetzen, weil er zum wenigen gehört, das ihm inmitten seiner ganz persönlichen Zombie-Apokalypse noch die eigene Lebendigkeit anzeigt. Die bizarre Schönheit der Krämerschen Verse und Harmonien ist mit jenem Schmerz im Bunde. Und mit deiner Tante …