FOTO: © Oliver Toth

Ungarische Erfahrung, deutsche Anwendung – Spinozistische Reflexionen über Macht, Erkenntnis und Autorität

Das sagt der/die Veranstalter:in:

Sowohl europaweit als auch global zeichnet sich der Trend ab, dass bestimmte politische Kräfte immer ähnlichere Strategien und Slogans verwenden: nach der Abtreibung wird der Kampf gegen die „globalistische“ Elite und den „Woke-Wahnsinn“ ausgerufen, und im Namen einer „souveränistischen“ Seite werden die angeblichen Werte der Familie, Christentum und Heterosexualität verteidigt. Die Art und Weise, wie „die Migrantenhorde“, Georg Soros, die Jüd*innen und Muslim*innen, die Queeren und nicht als „einheimisch“ gelesenen Personen zum Feindbild gemacht werden, zeigt eine gewisse Ähnlichkeit in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums auf. Man könnte denken, dass es ausschließlich um die Übernahme von Slogans geht, die dazu dienen, die benachteiligten Bevölkerungsgruppen gegen eine angebliche städtische Elite aufzuhetzen. Tatsächlich zeigt sich jedoch ein neuer Umgang mit Macht, mit Erkenntnis sowie politischer und wissenschaftlicher Autorität. Durch eine bewusste Anwendung von Gramscis Theorie der kulturellen Hegemonie wird versucht, die Autorität jedweder Art politikunabhängiger Expertise zu untergraben, sei sie eine akademisch gebilligte – wie die der Ärzt*innen während der Pandemie – oder eine durch gesellschaftliche Anerkennung entstandene – wie die der Künstler*innen. Die Expertisen, deren Billigung nicht von der Gunst der Politik abhängt, werden als Bedrohung wahrgenommen, da sie Identifikationsmuster vermitteln und Erkenntnisse ermöglichen, die ein gewisses Widerstandspotential gegen politische Narrative haben. Die Versuche, diese Autoritäten zu unterminieren, sollten nicht als bloße Hetze verstanden werden. Vielmehr drücken sie den politischen Anspruch aus, die Gesellschaft, die Kultur und die Sprache so zu gestalten, dass Gedanken mit Widerstandspotenzial nicht einmal gedacht werden können.

Solche Versuche nehmen wir auch bei verschiedenen politischen Akteuren* in Deutschland wahr, sei es durch den Widerstand gegen die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien oder künstlerischen Institutionen, durch die Polarisierung der Meinungen zu angeblich umstrittenen Themen, oder durch die Umdeutung von politischen Begriffen, wie Freiheit, Frieden, oder „das“ Volk. Diese Versuche ähneln dem ungarischen Regime nicht zufällig, sondern folgen einer Strategie, die durch die ungarische Erfahrung geprägt ist. Daher ist es geboten, aus der ungarischen Erfahrung zu lernen: nicht nur Seites der Unterdrückung, sondern auch von der Seite des Widerstandes.

In dieser Veranstaltungsreihe werden Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen sprechen, die mit der Situation in Ungarn aus der eigenen Erfahrung vertraut sind. Sie sprechen mit Oliver Toth, einem spinozistischen Philosophen, der sich intensiv mit Fragen der Erkenntnis, Autorität, und Macht bei und mit Spinoza beschäftigt. Ziel ist es, durch ihre Berichte und Erkenntnisse eine Perspektive auf deutsche politische Ereignisse zu gewinnen. Aus dieser Warte werden wir vielleicht scheinbar harmlose und unabhängige Phänomene als Ausdruck einer bedrohlichen und systematischen politischen Veränderung wahrnehmen können. Fähigkeiten und Werkzeuge sollen vermitteln werden, mit denen Bürger*innen die Bedrohung durch politische Mächte erkennen können, die mittels kultureller Hegemonie ihr Denken beeinflussen wollen – sowohl in der Parteipolitik als auch im Alltag.

Jedes Gespräch gliedert sich in drei Abschnitte: In den ersten 30 Minuten werden die wichtigsten Eckdaten und zentralen Begriffe vorgestellt. Anschließend folgt eine 60-minütige vertiefte Diskussion mit den eingeladenen Expert*innen. Nach einer kurzen Pause wird die Runde für eine offene Diskussion mit dem Publikum geöffnet.

 

In englischer und deutscher Sprache. (Termin 7.02. in ausschließlich deutscher Sprache)

 

Termine, Sprecher*innen und Themen:

07.02 – Dr. Melani Barlai – Auftakt, das politische System Ungarns

15.02 – Emese Orosz – Segregation in der Bildung

28.02 – Anna Zilahi – Umweltschutz, Liebe und Fürsorge: die Möglichkeiten individuellen Widerstandes

21.03 – Tamás Fábián – Strategien für unabhängige Berichterstattung

 

Location

Vierte Welt Adalbertstraße 96 10999 Berlin

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