in der xpon-art gallery
Ein Fotoprojekt aus der Ukraine
mit einer thematischen Ergänzung zeitgenössischer Kunst
Eröffnung am Donnerstag, den 20. März 2025 um 19 Uhr
Künstler:innen und Kurator:innen sind anwesend
Im Anschluss geöffnet bis zum 4. April 2025
Es ist keine einfache Ausstellung. Aber eine, mit der es sich lohnt, auseinanderzusetzen.
Wir ergänzten die zuvor in London und Toronto gezeigte Fotoserie, die wir oben im Eingangsbereich zeigen, mit einer offenen Ausschreibung. In den weitläufigen Kellergewölben der Galerie findet sich eine möglichst, soweit das Thema es zulässt, sensibel kuratierte Auseinandersetzung zum Thema in zeitgenössischer Fotografie, Objekt, Druckgrafik, Malerei, Installation, Linolschnitt, Video und Collage, die berührt, auch unangenehm, aber Raum lässt für Gedanken.
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In der den Ausstellungstitel gebenden Arbeit „Stolen Life“ von DARINA DOROGAN und OLEKSANDR ZINEVYCH stehen die Personen vor ihren zerstörten Häusern, nackt, wie Neugeborene, und blicken ins Ungewisse. Es sind Menschen unterschiedlichen Alters, sozialen Status oder Geschlechts, aber im Angesicht des Unglücks gleich.
„Für uns ist dieses Projekt eine Gelegenheit, das Wort „Krieg“ von der üblichen Terminologie loszulösen hin zu Begriffen wie „Liebe“, „Verlust“, “Familie“ und „Heimat“, um zu zeigen, wie schwierig es ist, unter den Bedingungen des Krieges zu leben. Kriege sollten im 21. Jahrhundert nicht stattfinden.
Das Haus ist ein Bild für alles, was die Ukrainer:innen verlieren, für die Heimat, und für die gewöhnlichen und grundlegenden Dinge, die niemand wegnehmen zu können scheint... bis diejenigen kommen, die glauben, dass sie es können und es tun. Für uns ist die Kunst eine Sprache, die Menschen auf der ganzen Welt verbindet, unabhängig von Geschlecht, Alter und Hautfarbe. Und dieses Projekt ist eine Gelegenheit, einen Dialog über die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft zu führen.“
Das Projekt, das um die Welt reist, geht über die Ukraine hinaus. Die Welt leidet unter einer zunehmenden Anzahl von Kriegen auf dem ganzen Planeten. Es hat nicht nur die Aufgabe, Krieg aus einer anderen Perspektive zu betrachten, Gedanken und Dialoge anzuregen, sondern auch auf den Körper und die Kunst als mächtige Instrumente des Ausdrucks von Ideen und Sinnen hinzuweisen.
::: Die thematischen Ergänzungen im Keller, in alphabetischer Reihenfolge der Künstler:innen :::
Die Arbeit von ANDREA NIMAX bezieht sich auf die Lebenszeit, die gerade auch vielen jungen Menschen geraubt wird. Diese gestohlene Lebenszeit prägt das Leben danach, und auch das Leben der nachfolgenden Generation. Das Foto zeigt zwei Menschen, die unterwegs sind, erst genaueres Hinschauen irritiert, der Titel, „1946“, lässt Bilder im Kopf entstehen. Das Foto zeigt die Eltern von Andrea Nimax.
Weisse Objektrahmen mit jahrzehntelangen Gebrauchsspuren beherbergen jeweils ein gefaltetes Stück transparentes Skizzenpapier, jedes unterscheidet sich in Grösse und Faltung sowie den Zahlen im Titel. Es ist geklebt wie die jeweilige offiziellen Nationalflaggen der Länder, die aktiv an Kriegen beteiligt sind. Gefaltet sind diese Fahnenrohlinge so, wie sie bei den offiziellen Trauerfeiern zusammengelegt werden um sie anschliessend den Angehörigen zu übergeben. Die Nummern in den Titeln der offenen Serie „ [ ohneWORTE ] “ von ARNE LÖSEKANN stehen für die Anzahl der gefallenen Soldaten der jeweiligen Nation, zb. “ein_land 402/645” (verstorben durch Feindeinwirkung/Gesamtverluste).
Die Form des Piktogramms subjektiviert die Ohnmacht und Tatenstarre angesichts des Alltäglichen. DETLEF LEMME visualisiert die Angst vor dem, was von oben kommt. Bei „Schauer w + k‟ denkt man an die Duschszene bei „Psycho‟, die Berieselung durch tägliche Kriegsnachrichten, Cyangas aus dem Duschkopf.
Viele Menschen springen auf das Bildvon FRAUKE WELDIN an, doch sobald sie den Titel kennen, treten sie einen Schritt zurück: „Neuengamme“. Unbehagen breitet sich aus. Name und Ort sind unweigerlich mit dem KZ, den Opfern und den Gräueltaten verbunden. Überall und jederzeit kann ein Ort zu einem Schauplatz werden. Auch damals war die Gleichzeitigkeit alltäglicher Schönheit vorhanden. Was nehmen wir wahr, wie erinnern wir uns?
In den letzten Jahren hat sich GREGORY ELTRINGHAMs Malerei auf die hässlichen Schattenseiten konzentriert, die in seinem Heimatland in der Trump-Ära voll zum Vorschein gekommen sind: die toxische Männlichkeit, die Verleugnung von Tatsachen, das Groteske, das Absurde und die falsche Moral. Während sich die allgemeine Praxis in der Auseinandersetzung mit dem Erbe und der Relevanz der Malerei im Bewusstsein der Gegenwart und ihrer Umstände in Beziehung zu historischen Vorbildern positioniert, hinterfragt Eltringham weiterhin die Meinung, dass die zeitgenössische Malerei nicht in der Lage sei, den Moment auszudrücken. Er sagt: "I understand the argument, but I don’t buy it."
Eine Munitionskiste auf Rollen ist mittels einer Deichsel mit einer Hand aus Waschleder als Griff zu einem Handwagen inszeniert. „Hand in Hand“ von JACQUELINE CHRISTIANSEN mutet der Größe nach an ein Kinderspielzeug an. Auf dem zweiten Blick verstört das Erscheinungsbild durch die olivgrüne Munitionskiste jedoch die niedliche Anmutung.
Das Ölbild von JENS JÜRGENS zeigt stellvertretend für eine ganze Generation junger Menschen, denen der Krieg das Leben nimmt, den Dichter Maksym Kryvtsov. Als Soldat kämpfte er für die Verteidigung der Ukraine. In den Gefechtspausen las er aus seinem Unterstand über Instagram seine Gedichte vor. Dort starb er im Januar letzten Jahres.
Die Fotografie „Was du nicht siehst“ versteht JOHANNES GROHT als Metapher für die Übertragung verdrängter Traumata von Eltern an ihre Kinder. Unbewusste Ängste werden ungewollt von einer an die nächste Generation weitergegeben. Für diese existiert ein normales Leben nur als Simulation.
KATERYNA KOZLOVA malte das Motiv in dem Bild „Die Erde“ zum ersten Mal vor drei Jahren, nachdem sie den fast hundert Jahre alten gleichnamigen Film von Oleksandr Dovzhenko sah. Ein Motiv, das sie erfasste, fühlte, ihr vertraut war und verstand, und seither in ihren Arbeiten auftaucht. Drei Kühe symbolisieren den Kreislauf des Lebens und die ständige Erneuerung, stehen für drei Generationen und die Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie stehen für die Erde. Auf der Leinwand als untrennbare Einheit betrachtet, führte die mystische Verbindung des ukrainischen Volkes mit dem Land, die Dovchenko beschrieb, damals nach der Erstaufführung zum unmittelbaren Verbot durch das Sowjetregime. Die Kraft der Kunst als sinnstiftendes Element, die Stalin dazu veranlasste, die Hinrichtung von 1111 Künstler:innen der ukrainischen „Roten Renaissance“ zu befehlen, erfasst auch heute Kateryna Kozlova unmittelbar; sie wirkt fort in den Arbeiten der jungen Künstlerin, als Ort der Zusammenkunft, wo Energien im einfachen, irdischen entstehen. Kultur ist das, was bleibt.
„Geschichte hat etwas zirkuläres und auch heute verlieren wir alle. Vor allem an Würde. Das Einzige, was ich von Krieg verstehe“, schreibt KLAAS WURTMANN, „ist, dass es hinterher immer auf jene ankommt, die alles wieder aufbauen. Krieg nimmt allen fast alles. Da erscheint es fast schon fantastisch, dass manche sich etwas Hoffnung bewahren. Mein Urgroßvater war ein solcher Mensch. An ihn und seine Mannschaft erinnern meine Arbeiten, die nach fotografischen Vorlagen aus einem seiner Fotoalben entstanden. Bis bis zu seinem Tod barg, entschärfte und/oder sprengte er Blindgänger.
MARGIT TABEL-GERSTER schenkt Puppen nach langjährigem primärem und kurzfristig sekundärem Einsatz in einem Kunstprojekt von Will Coles eine dritte Existenz. Was mögen diese Spielzeuge und ihre Besitzer für Schicksale gehabt haben? Mit unserem Wissen über die Geschehnisse in der Welt und unserer Phantasie bieten die stummen Zeugen viele Interpretationsmöglichkeiten und erinnern an die Bedeutung des Geschichten Erzählens, des Weitertragen der Vergangenheit in die Gegenwart für eine Zukunft.
In Bleilettern gesetzt zeigt OLIVER KELM über einem Linolschnitt des zerstörten Mariupol den Satz „Wer hat euch erlaubt so schön zu leben“, den eine Bewohnerin von Butscha an einer Wand ihrer geplünderten Wohnung vorfand.
Während ihres Aufenthaltes in Hamburg 2019 drehte die bildende Künstlerin ULI GOLUB aus der Ukraine den Film „Look, She’s got Beard“. 2020 gewann der Film den Special Prize des PinchukArtCentre in Kyiv: „Die Jury war der Ansicht, dass das Werk besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass es heikle Themen wie das 'Andere' und die Akzeptanz desselben in einer grenzwertig provokativen Weise anspricht und eine besonders starke Metapher für die Diskussion einiger der wichtigsten Themen unserer Zeit darstellt: Migration, Integration, Ausgrenzung und Unterschiede.“ Uli lebt heute im Exil und kann ihre Passion als Künstlerin aufgrund des Krieges kaum noch ausüben.
„Und so“ schreibt PAOLO MORETTO, dessen Arbeit im Obergeschoss hängt, „und so sind wir. In guten wie in schlechten Zeiten. Man überlebt diese Routine... Und im Atemzug eines Seufzers wird einem klar, dass wir schon jenseits sind“ Aber schon in den poetischen Worten Morettos beginnt das Leben wieder, wie in seinen treffsicher beobachtenden wie spielerisch-humorvollen Werken, denn für Moretto ist Kunst keine Idee, Kunst ist für ihn ein Gedanke...: „während alles still ist, sitze ich und lausche, in das Rauschen einer unsicheren Brise, einer Melodie des Friedens…“.
Ergänzt wird die Ausstellung mit Filmen von ukrainischen Teenagern aus dem Projekt “THE STREET I NEED”, realisiert von Kateryna Bosiachenko, und Fotoarbeiten aus I WILL LIVE IT FOR YOU, einer von Iryna Kudriavtseva und Anja Ellenberger an der Kunstuniversität Linz kuratierten Ausstellung. Die Arbeiten ukrainischer Fotograf:innen umfassen den Zeitraum von 2014 bis 2022 und porträtieren die Lebensphase junger Menschen zwischen Alltäglichkeit und Angst; unterbewusste Erwartungen, verlorene Pläne, Träume, Chancen, Routinen und Eskalation. Die Bilder sind eine Erinnerung an die Leben, die nicht zurückgegeben werden können, und an den Wert derjenigen, die weiterleben. Und dem der Kunst. Sie ist teuer bezahlt. Und wertvoll.
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Und damit entlassen wir sie aus diesem begleitenden Text. Bei Fragen sprechen Sie uns gerne an; wenn Sie Durst haben, auch. Wir bieten nichts an, was wir nicht auch selber trinken würden. Getränke sind gegen Spende erhältlich. Der Eintritt ist frei, weil jeder Zugang zu Kultur haben soll. Sie dürfen allerdings gerne welchen spenden, wenn Sie den sonst auch honorieren. Wir konzipieren diese Ausstellungen und betreiben diesen Raum, weil wir es wichtig finden, dass es konstante und anspruchsvolle Positionen zwischen staatlichen Museen und kommerziellen Galerien einerseits und wechselnden Plattformen für Nachwuchskunst andererseits gibt - zum einen, um Kunstschaffende besser zu fördern, zum anderen, um eine lebendigere Kultur für den Dialog von Kunst und Gesellschaft zu schaffen. Wenn sie diese Arbeit fördern möchten. sprechen sie uns gerne an.
Die Erzählungen dieser Ausstellung wurden geschaffen von den Künstler:innen. Die Textredaktion hatte Gerald Chors.
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Mit freundlicher Unterstützung der Behörde für Kultur und Medien Hamburg
xpon-art ist Teil von ART OFF HAMBURG
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Teilnehmende Künstler:innen:
„stolen life" ::
Darina Dorogan & Oleksandr Zinevych
Thematische Ergänzung ::
Andrea Nimax, Arne Lösekann, Detlef Lemme, Frauke Weldin, Gregory Eltringham, Jacqueline Christiansen, Jens Jürgens, Johannes Groht, Kateryna Kozlova, Klaas Wurtmann, Margit Tabel-Gerster, Oliver Kelm, Paolo Moretto, Uli Golub
"I will live it for you“ ::
Fotos kuratiert von Iryna Kudriavtseva und Anja Ellenberger
“The Street I Need”::
Filme kuratiert von Kateryna Bosiachenko
Laufzeit:
Donnerstag, 20. März 2025 bis Freitag, 4. April 2025
Öffnungszeiten:
Sonnabends, Sonntags, Montags und Dienstags 18 - 21 Uhr und n. V.
Vernissage:
Donnerstag, 20.3.2025 um 19 Uhr
Finissage:
Freitag, 04.04.2025 15 - 19 Uhr
Ort:
xpon-art gallery
Repsoldstraße 45
20097 Hamburg
www.xpon-art.de
Über abweichende Öffnungszeiten informieren wir Sie auf unserer Homepage, unserem Instagram Account @xponartgallery und unserer Facebook Seite facebook.com/xponart
Im Verlaufe der Ausstellung werden, insbesondere auch für diejenigen interessant, die einen Besuch nach wie vor vermeiden müssen, 360°-Ansichten auf der Homepage eingepflegt.
Wir bitten, trotz allem an Corona und die Grippewelle zu denken und sich entsprechend zu verhalten.
Preisinformation:
Der Eintritt ist frei, weil jeder Zugang zu Kultur haben soll. Sie dürfen allerdings gerne welchen spenden, wenn Sie den sonst auch honorieren. Getränke sind gegen Spende erhältlich. Wir bieten nichts an, was wir nicht auch selber trinken würden. Wir konzipieren diese Ausstellungen und betreiben diesen Raum, weil wir es wichtig finden, dass es konstante und anspruchsvolle Positionen zwischen staatlichen Museen und kommerziellen Galerien einerseits und wechselnden Plattformen für Nachwuchskunst andererseits gibt - zum einen, um noch nicht etablierte Kunstschaffende besser zu fördern, und zum anderen, um eine lebendigere Kultur für die Kommunikation zwischen Kunst und Öffentlichkeit zu schaffen.